Von Ayya Vimala, Deutsch von Anagarika Sabbamitta
Weihnachten 1944. Der kälteste Winter in der Geschichte der Ardennen beginnt. Der Boden ist gefroren, und Schnee bedeckt die Landschaft. Und es wird noch viel mehr schneien. Beinahe idyllisch sieht es aus, wäre da nicht die harte Wirklichkeit dahinter. Die Soldaten des 347. Infanterieregiments, 87. Infanteriedivision, schließen das kleine Dorf Bonnerue ein; es liegt etwa einen Kilometer von der Stelle, wo heute das Kloster Tilorien steht. Das Dorf ist eine wichtige Verbindung für die deutschen Nachschublinien, und es muss eingenommen werden.
Vor einem Monat haben sie ihren Marsch begonnen, aber der mühsamste Teil des Unterfangens steht ihnen noch bevor. Sie werden in heftige Kämpfe in der frostigen Landschaft verwickelt werden, ihre Zehen werden erfrieren, und sie bekommen Wundbrand. Sie werden in Fuchsbauten unter dem Schnee schlafen, und es ist schwer, diese in dem fest gefrorenen Boden auszugraben. Sie wissen nicht, wo sie sind, und hinter jedem Baum, um jede Ecke kann der Tod lauern. Die Ardennenoffensive hat gerade begonnen.
Im letzten Monat ging ich an einem schönen sonnigen Herbsttag mit Anagarika Sabbamitta zu einem Spaziergang in die Wälder um das Kloster Tilorien. Die Sonne lässt die bunten Blätter golden leuchten. Der Weg ist zunehmend überwachsen und hört dann auf, aber wir gehen weiter. Ein Stück weiter sehen wir unter den Bäumen eine Szene, die wenig Zweifel daran lässt, was hier geschehen ist. Zwischen den Bäumen, etwa einen Kilometer von der Straße, finden wir drei olivbraune Autos von der Art, wie sie die US-Armee benutzte, um ihre Offiziere zu befördern. Die olivbraune Farbe war eine gewissse Tarnung, und die dicken Sandreifen machten sie geländetauglich. Das erste Auto muss direkt von einer Artillerie- oder Panzergranate getroffen worden sein. Die einzigen sichtbaren Teile sind eine Achse und etwas, das wie der hintere Teil eines Jeeps aussieht, am Boden eines Kraters. Das zweite wurde in die Luft geschleudert, überschlug sich und landete auf einem anderen. Dieses dritte steht mit weit geöffneten Türen da. Darum herum sind überall Einschlagskrater. Das war ein direkter Angriff mit der Absicht, zu töten. Hat jemand überlebt? Werden wir das jemals wissen? Wir halten inne und chanten das Metta-Sutta.
Nach 75 Jahren ist die Szene eine stille Erinnerung an diesen Krieg, von dem es hieß: ‚Das darf nie wieder passieren‘. Länger als jemals zuvor hatten wir in diesen Ländern Frieden. Ein Frieden, der uns bislang ungekannten Wohlstand gebracht hat. Aber er hat auch zu einem bedeutenden Bevölkerungswachstum und zu stetig wachsender Nachfrage nach natürlichen Ressourcen geführt. Das hat nicht wieder gutzumachende Schäden an den Ökosystemen unseres Planeten verursacht, und das Gleichgewicht der Natur ist gekippt. Es hat einen Prozess angestoßen, der nicht zu stoppen ist. Die Menschen, die den Krieg erlebt haben, sind beinahe ausgestorben, und die Erinnerung verblasst. Der zweite Weltkrieg hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern zwischen anderen blutigen Schlachten der Vergangenheit gefunden. Die politische Landschaft polarisiert sich zunehmend, Hass wächst auf beiden Seiten. Auch das haben wir schon gesehen. Und damit schließt sich langsam der Kreis, und unsere Autos sind nicht mehr nur eine stille Erinnerung an eine ferne Vergangenheit, sondern sie werden zu einer düsteren Warnung für die Zukunft.
Aber inmitten all der Verwüstung der Ardennenoffensive finden wir auch Geschichten von Liebe und Verständnis, von Erfahrungen, aus denen wir lernen können.
Während die Bevölkerung in Kellern Schutz sucht, ohne Heizung und fast ohne Essen, verbindet eine junge Lehrerin den Arm eines deutschen Soldaten. Er wurde von einem Amerikaner angeschossen und ist jetzt sein Gefangener. Auf dem Weg zum amerikanischen Hauptquartier, wo alle Gefangenen hingebracht werden, müssen die beiden in einem Keller Unterschlupf suchen, da die heftigen Luftangriffe das Weiterreisen unmöglich machen. Die anderen Bewohner dieses Kellers sind nicht erfreut über den deutschen Soldaten in ihrer Mitte und bringen ihre Abneigung deutlich zum Ausdruck. Die Lehrerin reicht ihnen eine Tasse warme, dünne Kartoffelsuppe. Der Deutsche nimmt sie in seine zitternden Hände und weint vor Dankbarkeit. Diese Lehrerin, Mitglied des Wiederstandes, sein Feind, bringt ihm Liebe und Fürsorge entgegen. Seit Wochen hatte er nichts Warmes zu essen. Wäre die Situation anders gewesen, hätte er umgekehrt sie gefangengenommen, hätte er den Befehl gehabt, sie zu exekutieren.
Sie aber sieht nur einen Menschen, der genau wie sie ein Opfer der Umstände ist und der Liebe und Fürsorge braucht. Sie hat den Mut, über die äußeren Gegebenheiten hinwegzublicken, den wirklichen Menschen dahinter zu sehen und ihm diese bedingungslose Liebe entgegenzubringen.
Mit der Zeit gewöhnen sich die Bewohner des Kellers an seine Anwesenheit.
Ein 13jähriger Junge sitzt in der Ecke und spielt Gitarre. Er kann nur ein Stück, das er wieder und wieder spielt, um sich aufrecht zu halten. Er hat seine Eltern verloren. Sein Vater wurde von deutschen Soldaten hingerichtet, nachdem sie im Kirchturm des Dorfes ein Radio gefunden hatten. Der deutsche Soldat setzt sich zu ihm, und obwohl sie keine gemeinsame Sprache sprechen, bringt er dem Kind ein paar neue Lieder bei, hilft ihm, ein klein wenig Glück zu finden. Und trotz ihres ungewissen Schicksals hebt die Musik auch die Stimmung der anderen Menschen in der Unterkunft.
Es waren allein die bedingungslose Liebe und das Mitgefühl einer Lehrerin, die ihre Herzen weich machten. Durch ihre Güte begannen die Menschen, einander nicht als Feinde zu betrachten, sondern als Menschen. Solche Liebe braucht viel Mut, aber sie hat so viel Kraft.
Doch die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende. Nach dem Krieg treffen sich die Lehrerin, die beiden Soldaten und der Junge wieder und schreiben ihre Geschichte auf. Die Geschichte verbreitet sich, und nach 75 Jahren ist sie immer noch sehr lebendig. Sie erinnert uns an die Bedeutung der Liebe, ganz besonders unter so außerordentlich schwierigen Umständen.
Diese Geschichte kommt mir in den Sinn, als wir auf die Einschlagskrater blicken, die jetzt von einem dicken Teppich aus herbstlichen Blättern bedeckt sind. Die Menschen, die Teil des Dramas waren, das sich hier vor 75 Jahren abgespielt hat, sind inzwischen alle tot. Doch die Autos bleiben als eine stille Erinnerung daran, dass alles vergeht, aber auch als ein Zeichen für Hoffnung, Liebe und Mut. Hier liegen die wahren Schlachtfelder.
Thanks for the wonderful story. Be happy!