Samita ASBL

Geschlechter im Wandel, Buddhisten im Wandel

(Originalartikel von Ayya Vimala, deutsch von Anagarika Sabbamitta)

Heute Morgen setze ich mich mit meiner Tasse Tee hin und schlage die Zeitung auf. Normalerweise lese ich keine Zeitungen, aber eine Schlagzeile hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen: „Sind Sie bereit für den empfindsamen Mann?“, mit einer Cartoon-Zeichnung eines Mannes, der seine Sex- und Autozeitschriften wegwirft und ein Heft über Meditation in der Hand hält. Eine Träne fließt aus seinem Auge. In dem Artikel geht es um den Wandel von Geschlechterrollen in unserer westlichen Gesellschaft. In der gleichen Zeitung steht auch ein Artikel über die wachsende Popularität von Frida Kahlo. Die Zeitung schreibt das ihrer Bisexualität zu und der Tatsache, dass sie Geschlechterrollen überschreitet.

Vor ein paar Monaten wurde in Belgien ein Gesetz verabschiedet, das es Menschen erlaubt, legal und ohne großen Aufwand ihr Geschlecht zu ändern: Man geht zum Rathaus und lässt es umschreiben und bezahlt dafür eine kleine Verwaltungsgebühr. Ein Richter in den Niederlanden hat kürzlich geurteilt, dass ein drittes Geschlecht im Gesetz berücksichtigt werden sollte. Die Dinge verändern sich in unserer Welt; die traditionellen sozialen Geschlechterrollen, wie wir sie seit unserer Geburt erlernt haben, verändern sich.

Was bedeutet das für uns als Buddhisten? Wie arbeiten wir an uns selbst mit Blick auf das Geschlecht, und wie sollten diese veränderten Rahmenbedingungen sich im Sangha auswirken? Zuerst einmal wollen wir beleuchten, was es mit diesem „Geschlecht“ tatsächlich auf sich hat. Wenn wir geboren werden, sind wir entweder männlich oder weiblich. Oder etwa nicht? Das ist die Annahme, auf der unsere in Bezug auf das Geschlecht zweigeteilte Welt aufbaut. Aber schauen wir uns diese Annahme näher an.

Zuallererst möchte ich die Terminologie klarstellen: Es gibt einen Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht, sozialen Geschlechterrollen und sexueller Orientierung. Oft werden diese Begriffe ungenau oder als Synonyme benutzt, aber das ist falsch. Obwohl sie etwas miteinander zu tun haben, sind es doch unabhängige Begriffe, und jedes Individuum kann durch eine einzigartige Kombination davon ausgezeichnet sein.

Terminologie

Biologisches Geschlecht

‚Geschlecht‘ (engl.: sex) bezieht sich auf die anatomischen und andere biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die im Mutterleib festgelegt werden. Die meisten Menschen werden entweder mit männlichen oder weiblichen Geschlechtsorganen geboren, aber sicher nicht alle. Es gibt auch Zwitter. Heutzutage werden sie häufig nach der Geburt operiert, damit sie in die zweigeteilte Geschlechterwelt hineinpassen.

Dann gibt es auch so etwas wie spontanen Geschlechtswechsel. Das ist eine seltene Erscheinung, die in der Pubertät auftreten kann, meistens von männlich zu weiblich. Wissenschaftlich ist dieser Vorgang noch nicht verstanden. (Salt, 2007)

Soziale Geschlechterrollen

‚Geschlechterrolle‘ (engl.: gender) ist ein soziales Konzept, das soziale und kulturelle Unterschiede bezeichnet, die eine Gesellschaft Menschen auf der Grundlage ihres biologischen Geschlechts zuschreibt. Jede Gesellschaft belegt die Menschen mit Erwartungen, wie sie sich bei ihrem biologischen Geschlecht verhalten und welche Einstellungen sie haben sollten. Das nennen wir Geschlechterrollen. Eine Geschlechterrolle ist also ein soziales Konstrukt. Wie wir als Männer oder Frauen denken und uns verhalten, wird nicht von unserem biologischen Geschlecht bestimmt, sondern davon, wie die Gesellschaft uns auf der Grundlage dieses biologischen Geschlechts konditioniert. (Lindsay, 2011)

Biologische vs. soziale Konditionierung

Viele Jahre lang wurde darüber debattiert, ob Unterschiede im sozialen Geschlecht auf biologische Ursachen zurückgehen (Workman & Reader, 2009) oder sozial bedingt sind, oder vielleicht eine Kombination von beidem darstellen. Natürlich gibt es Unterschiede in unseren jeweiligen körperlichen Möglichkeiten, aber in der heutigen Welt ändert sich auch deren Stellenwert. Wir leben nicht mehr in einer Gesellschaft, in der das tägliche Überleben die oberste Aufgabe darstellt. Jede*r hat wohl einzigartige Merkmale und Fähigkeiten, aber diese sind nicht mehr rein über unser biologisches Geschlecht definiert. Auch wenn biologische Unterschiede in prähistorischen Zeiten unsere Geschlechterrollen beeinflusst haben, spielen diese Unterschiede in der heutigen Welt kaum noch eine Rolle. (Hurley, 2007; Buller, 2006; Begley, 2009)

Einige der überzeugendsten Belege, die gegen eine rein biologische Prägung von Geschlechterrollen sprechen, stammen von Anthropologen, deren Arbeiten über vorindustrielle Gesellschaften bemerkenswerte kulturabhängige Variationen in den sozialen Geschlechterrollen aufzeigen. Diese Abweichungen unterstreichen den kulturellen Einfluss darauf, wie Frauen und Männer denken und sich verhalten. (Mead, 1935; Morgan, 1989; Murdock, 1937)

Geschlechtsidentität

‚Geschlechtsidentität‘ beschreibt, wie wir uns in Bezug auf uns selbst fühlen. Es ist ein mentales Konstrukt, das in den meisten Fällen, aber nicht in allen, mit der zugeschriebenen Geschlechtsrolle und dem biologischen Geschlecht übereinstimmt.

Der Versuch, eine andere Geschlechtsidentität anzunehmen, kann zu Stimmungseinbrüchen führen: einem Zustand, in dem die eigene emotionale und psychologische Identität als männlich oder weiblich nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt. Diese Menschen fühlen sich buchstäblich „im falschen Körper“ (oder fühlen sich gezwungen, die falsche Geschlechtsrolle zu spielen) und fühlen sich wohler, wenn sie die Rolle des anderen Geschlechts oder gar keine bestimmte Geschlechtsrolle einnehmen können.

Neben den üblichen Begriffen „Mann“ und „Frau“ gibt es viele Begriffe, die die verschiedenen Arten der Geschlechtsidentität beschreiben. Wenn Sie mehr wissen wollen, finden Sie hier ein kurzes Video mit einer Einführung (auf Englisch):

Sexuelle Orientierung

‚Sexuelle Orientierung‘ bezieht sich darauf, welche Art von sexuellen Beziehungen jemand bevorzugt: mit Personen des anderen Geschlechts (Heterosexualität), des eigenen Geschlechts (Homosexualität) oder mit beiden Geschlechtern (Bisexualität).

Frühere Leben

Über die Gründe, warum manche Menschen sich anders fühlen als es die soziale Norm ist, sei es in der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung oder beidem, wurde viel diskutiert, aber es scheint sich um eine äußerst komplexe Mischung von biologischen und soziokulturellen Faktoren zu handeln. Was für mich dabei heraussticht ist, dass frühere Leben nicht in die Forschung einbezogen wurden. In unseren früheren Leben sind wir alle Männer und Frauen gewesen und haben viele soziale Rollen einschließlich Geschlechterrollen eingenommen. Die Tatsache, dass wir alle mentale Faktoren aus der Vergangenheit in dieses Leben mitgebracht haben, sollte nicht übersehen werden, aber es ist schwer, zu bestimmen, in welchem Ausmaß das hier eine Rolle spielt. Durch die Arbeiten von Ian Stevenson wissen wir, dass sich Kinder im frühen Alter mit höherer Wahrscheinlichkeit an frühere Leben erinnern, und das ist auch das Alter, in dem sich der Kern der Geschlechtsidentität formt.

Es gibt eine große Bandbreite an Kombinationen von biologischem Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung, die Menschen haben können. Viele Transsexuelle und queere Menschen haben versucht, ihr Leben an den sozialen Normen auszurichten, und haben ihre Geschlechtsrolle entsprechend ihrer körperlichen Merkmale eingenommen, bevor sie ihr „Coming out“ hatten. Viele waren verheiratet und hatten Kinder, ehe sie sich zu einer Geschlechtsumwandlung entschieden oder sich als „queer“ zu erkennen gaben. Manche tun das nie und bleiben in der ihnen zugeschriebenen Geschlechtsrolle. Das Konzept des Dualismus der Geschlechter vereinfacht die Wirklichkeit viel zu stark.

Ich denke nicht, dass sich heute mehr Menschen als früher in der zugewiesenen Geschlechtsrolle unwohl fühlen; aber in unserer modernen Gesellschaft sind wir uns dessen stärker bewusst und bringen mehr Verständnis und Akzeptanz auf. Viele Menschen beginnen, den Wert solcher Geschlechtsrollen in Frage zu stellen, in einer Welt, die sich stets verändert und in der es nicht mehr so stark um das unmittelbare Überleben geht und wir stattdessen andere Aufgaben zu bewältigen haben. Am Ende sind wir doch einfach alle Menschen.

Geschlechterrollen im Buddhismus

Religionen haben bei der Sozialisierung von Individuen zu den ihnen zugeschriebenen Geschlechterrollen einen wichtigen Anteil. Der Buddhismus stellt hier keine Ausnahme dar, aber wir sollten unterscheiden zwischen dem, was der Buddha gelehrt hat, und buddhistischen Kulturen, die sich auf der Basis von Unterschieden in der Geographie und in der Interpretation der Lehren seit der Zeit des Buddha herausgebildet haben.

Um den buddhistischen Standpunkt zu verstehen, müssen wir in der Geschichte zurückgehen. Wie Ayya Sujato in seinem Artikel über die Geschlechtsteile des Buddha aufgezeigt hat, scheint der Buddha selbst eher nicht-binär gewesen zu sein: Er hat die Idee eines Geschlechts hinter sich gelassen. Aber wie war das in dieser Zeit generell? Die Gesellschaft war ganz anders als unsere, und alles, was wir darüber wissen, ist über die Hintergrundgeschichten in den Suttas und im Vinaya zu uns gelangt. Diese sagen uns, dass sich die damalige Gesellschaft in Bezug auf soziale Beziehungen vom heutigen Indien gar nicht so sehr unterschied. Auf jeden Fall war es sehr wahrscheinlich eine heterosexuell-patriarchal organisierte Gesellschaft, in der erzwungene Heirat die Regel war.

In dieser Gesellschaft hatte der Buddha zu lehren. Auch wenn er sich selbst anders fühlte, hat er die bestehenden Strukturen in der Gesellschaft nicht direkt in Frage gestellt, sondern er lehrte die Menschen, nachzudenken und nach innen zu schauen. Er lehrte auf sehr subtile Art; er dozierte nie, sondern leitete die Menschen an, in sich selbst Antworten zu finden. Und was er lehrte war, zu allen Wesen mitfühlend zu sein, unabhängig von Kaste oder Geschlecht.

Er macht in seinen Lehren sehr klar, dass solche Unterschiede zwischen Menschen keine Rolle spielen:

„Nicht am Halse oder an den Schultern; nicht am Bauch und nicht am Rücken;
Nicht am Gesäß, nicht an der Brust, nicht des Geschlechts;

Nicht an Händen oder Füßen; nicht an Fingern oder Nägeln;
Nicht an Ober-, Unterschenkeln; nicht an Farbe oder Stimme,
Nicht gibt es hier, daß, wie bei andern Arten,
durch die Geburt bestimmt ist ihre Sonderform.

Bei Menschen, gleich an Körperbau, da findet sich Besonderes nicht.
Die Unterscheidung unter Menschen, dem Zwecke der Benennung dient sie nur.“

Suttanipāta 3.9

Die Lehren

Man kann die Lehren von verschiedenen Seiten betrachten. Eine Möglichkeit, die ich sehr hilfreich finde, ist die Lehre über die fünf Khandas: Form, Gefühl, Wahrnehmung, Entscheidungen und Bewusstsein. Wenn er die fünf Khandas erklärt, leitet der Buddha dazu an, sie als anicca (unbeständig), dukkha (mit Leiden behaftet) und anatta (nicht-Selbst) zu betrachten. Er sagt nicht, es gebe kein Selbst, aber er sagt, wenn wir uns mit einem Selbst identifizieren, dann identifizieren wir uns mit diesen fünf Khandas; wenn wir sie der Wirklichkeit gemäß sehen, dann erscheinen sie nicht als ein „Selbst“, als etwas, an dem man anhaften kann.

Sein Ansatz besteht darin, uns zum Nachforschen anzuregen. Wie kann man diese Dinge erkennen? Gehen wir jeden Aspekt unserer Erfahrung durch und schauen, ob er dauerhaft oder vergänglich ist. „Dukkha“ ist ein wenig subtiler und manchmal verwirrend, denn der Begriff „dukkha“ wird hier als ein Merkmal der fünf Khandas verwendet und nicht im gleichen Sinn wie das Gefühl „dukkha“, das zum zweiten Khanda gehört. Hier ist eher gemeint, dass man die Unvollkommenheit in den Dingen sieht, dass man erkennt, dass sie uns keine anhaltende Befriedigung verschaffen können. Anatta heißt zu sehen, dass wir diese Erfahrungen nicht unter Kontrolle haben und sie daher kein Selbst sind.

Einer der wichtigsten Punkte bei den fünf Khandas ist nicht so sehr die Definition eines jeden von ihnen, sondern die Wechselbeziehung zwischen den ersten vier (Form, Gefühl, Wahrnehmung, Entscheidungen) und dem fünften (Bewusstsein). Das Zusammenspiel, die Reaktionsfreudigkeit und die Resonanz zwischen dem inneren subjektiven Gewahrsein und dem empfindenden Körper, zwischen dem inneren Gefühl des Gewahrseins und den äußeren Zeichen. Wir sehen nicht einfach Gegenstände als anicca, dukkha und anatta, sondern die ganze Natur und Struktur dieser Interaktion besteht im Ineinandergreifen und Herumwirbeln, in ständiger Veränderung. Tiefe Einsicht heißt nicht, dass man etwas über die äußeren Objekte erkennt, sondern darüber, wie der Geist mit diesen Objekten verstrickt ist.

In Bezug auf die Geschlechterrollen kann man sehen, dass unsere Geschlechtsidentität eine Wahrnehmung ist. Ob wir uns als Mann oder als Frau sehen oder als etwas anderes, wir haben alle diese Wahrnehmung. Wir haben auch eine Vorstellung darüber, wie andere Menschen uns sehen, und hier kommt die uns zugewiesene Geschlechtsrolle ins Spiel. Diese Geschlechtsrolle ist ein sozial konditioniertes Phänomen, aber sie hat auch eine innere Seite, nämlich wie wir das in Bezug auf uns selbst wahrnehmen; das Zusammenspiel zwischen dem Inneren und dem Äußeren. Wir haben nicht die Kontrolle darüber, wie diese Dinge sind, und wir können nicht mit dem Willen eine andere Geschlechtsidentität annehmen. Es ist anatta. Es ist, wie es ist, und wir können das nicht ändern. Unsere Geschlechtsidentität unterliegt nicht einer Entscheidung.

Aber wenn wir das betrachten, verschiebt sich Sañña (Wahrnehmung) zu Pañña (Weisheit). Durch das Beobachten lösen sich unsere Verunreinigungen langsam auf, und wir beginnen, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Die inneren Qualitäten des Geistes verändern sich, während die Weisheit anwächst. Auf diese Art können wir davon loslassen, nachzudenken, wie wir nach einem wahrgenommenen äußeren sozialen Standard „sein sollten“, und lernen, uns mit unserem Geschlecht so zu akzeptieren wie wir sind und dabei gleichzeitig im Sinn zu behalten, dass es anatta ist. Auf diese Art verändern wir unsere Beziehung zur äußeren Welt und unsere Wahrnehmung von uns und anderen.

Der Vinaya

Wie man in dem kurzen Video sehen kann, das @Adan hier eingestellt hat, wird gegen die Ordination Transsexueller heute das gleiche Argument vorgebracht, das zuvor bei Bhikkhunis benutzt wurde: Man kann meditieren und sich entwickeln, ohne ordiniert zu sein, man soll die Situation akzeptieren wie sie ist und damit zufrieden sein. Dieses Argument wird häufig von Buddhisten benutzt, wobei die Prinzipien der Zufriedenheit, des Gleichmuts und des Loslassens bemüht werden. Aber das heißt, die Lehren von der falschen Seite anzupacken. Der Wunsch, ordiniert zu werden, ist ein heilsamer Wunsch, der mit dem Dhamma im Einklang steht, und der Buddha würde ihn loben. Der Buddha selbst war immer mitfühlend zu allen Wesen, und wenn jemandem die Ordination verweigert wurde, war es niemals wegen der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung.

Wir müssen uns anschauen, wie Menschen mit einem anderen Geschlecht im Vinaya bezeichnet wurden. Es gibt verschiedene Ausdrücke, die dafür verwendet werden konnten, oder die im Allgemeinen so übersetzt werden, und sie alle kommen nur in den Khandakas des Vinaya Pitaka vor, genauer gesagt, nur im Bhikkhunikhandaka (oder als Schimpfwort in Bhikkhu Saṅghādisesa 3). Bhikkhu @Sujato (2007) stellt die Behauptung auf, dass der Bhikkhunikhandaka ebenso wie andere Teile des Vinaya später eingefügt wurde, möglicherweise zur Zeit des zweiten Konzils.

Es werden in diesem Zusammenhang mehrere Arten von Personen genannt: Vepurisikā, Sambhinna, Ubhatovyañjanaka und Paṇḍaka.

Alle diese Begriffe werden in Verbindung mit der Ordination erwähnt: Menschen mit diesen Merkmalen dürfen nicht ordiniert werden, jedenfalls nicht als Bhikkhuni. In den frühen buddhistischen Suttas kommen die ersten drei Begriffe nirgends vor, lediglich das Wort Paṇḍaka findet sich in einigen Passagen des Anguttara Nikaya, die keine Parallelen in anderen frühen Texten haben. Es ist nicht sehr klar, was genau diese Begriffe beschreiben, obwohl die konservativeren Stimmen im Sangha sie als Bezeichnungen für alle diejenigen deuten, die nicht den etablierten Geschlechtsnormen entsprechen. Ich denke allerdings, dass es falsch ist, die konservativste Lesart der Texte anzunehmen, wenn wir über die tatsächliche Bedeutung dieser Begriffe so wenig wissen.

Der Begriff Paṇḍaka wurde in diesem Thread und auch in dem Essay von @Bernat Font eingehender diskutiert. Es scheint, dass ein Paṇḍaka kein Mensch mit einer bestimmten Geschlechtsrolle oder sexuellen Orientierung ist, sondern dass der Begriff eher eine Person beschreibt, die ein ausgeprägtes wollüstiges Verhalten zeigt, was natürlich im Sangha unangemessen wäre.

Unabhängig davon, wie man den Vinaya interpretiert, wird durch die Anatta-Lehre selbst ja eine Identität oder ein dauerhaftes Etwas im Kern eines Lebewesens zurückgewiesen, und das macht die Geschlechtsunterschiede auf der tiefsten Ebene lediglich zu oberflächlichen Faktoren, wie auch Rasse, Volkszugehörigkeit, Aussehen oder sozialen Status. Daher widerspricht es dem Dhamma, jemandem deswegen die Ordination zu verweigern.

Die Lehren des Buddha sind in der heutigen Welt genauso anwendbar wie vor 2500 Jahren, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Umstände, unter denen wir mit diesen Lehren umzugehen haben, sich sehr verändert haben. Es ist kein Buddha da, der uns sagen könnte, was wir zu tun haben, aber wenn wir versuchen, in seine Fußstapfen zu treten, und liebevoll und wohlwollend zu allen Wesen sind, können wir nicht sehr falsch liegen.

Bhikkhu oder Bhikkhunī?

Das oben Gesagte beantwortet allerdings nicht die Frage: Wenn Ordination für Transsexuelle erlaubt ist … wie sollten sie ordiniert werden?

Zweifelsohne wird dies für die kommenden Jahre noch ein vieldiskutiertes Thema sein, da nicht alle transsexuellen Menschen operiert sind (d. h. sie haben, zumindest teilweise, noch den Körper des anderen Geschlechts). Es ist sehr gut möglich, dass jemand mit männlichen Genitalien sich als Frau identifiziert und umgekehrt. Überdies gibt es viele Menschen, die sich mit keinem Geschlecht streng identifizieren: sie sind nicht-binär.

Anderson (2016a) weist darauf hin, dass Mönche und Nonnen die üblichen Kennzeichen für die Unterschiede in Geschlecht und Geschlechtsrollen aufgeben, wenn sie Roben anlegen und ihren Kopf rasieren. Darüber hinaus leben sie im Zölibat, das heißt die Geschlechtsorgane werden nicht für die von der Natur vorgesehene Funktion benutzt. Es wäre daher unsinnig, wenn eine transsexuelle Person, die keine vollständige operative Geschlechtsumwandlung hatte, sich einer solchen unterziehen müsste, um einen Körperteil herzustellen, der für die Praxis in buddhistischen Klöstern keine Rolle spielt.

Die Auseinandersetzung dreht sich um die Erläuterung einer Vinayapassage in Pārājika 1 (ins Englische übersetzt von Ajahn @Brahmali):

Zu einer Zeit erschienen die Merkmale einer Frau an einem Mönch. Sie sagten es dem Meister. Er sagte: „Mönche, ich erlaube, dass genau dieser Schülerstatus, genau diese Ordination, diese Jahre als Mönch, zu den Nonnen mitgenommen werden. Die Vergehen der Mönche, die für die Nonnen gleichermaßen gelten, sollen bei den Nonnen geklärt werden. Für die Vergehen der Mönche, die nicht für die Nonnen gelten, liegt kein Vergehen vor.“

Dann folgt die Passage entsprechend für eine Nonne.

Das Auftauchen dieser Passage in Pārājika 1 ist etwas sonderbar. Bei dieser Regel geht es um Geschlechtsverkehr, und ein Wechsel der Geschlechtsmerkmale hat damit wenig zu tun. Es kann sein, dass die Stelle später eingefügt wurde.

Carol Anderson (2016) weist darauf hin, dass im Abhidhamma Wiedergeburt als Mann als Ergebnis guten Kammas und Wiedergeburt als Frau als Ergebnis schlechten Kammas (Ehebruch) betrachtet wird und dass das einen gewissen Einfluss auf das Auftauchen dieser Passage in Pārājika 1 haben könnte.

Es ist unklar, was genau die „Merkmale einer Frau / eines Mannes“ sein sollen. Das entscheidende Wort hier ist liṅga, was Zeichen oder Merkmale bedeutet. Es kann sich auf körperliche Merkmale beziehen, muss aber nicht. Die Ausdrücke für „Merkmale einer Frau“ und „Merkmale eines Mannes“ sind itthiliṅgaṃ und purisaliṅgaṃ. Sie kommen im Kanon nur 5 mal vor, und zwar in späteren Texten wie dem Abhidhamma und dem Milindapañha. Auch in den frühen Suttas tauchen sie einmal auf, nämlich in Digha Nikāya 27, wo die Evolution beschrieben wird. Im letzteren Fall scheint es, dass liṅga sich tatsächlich auf das biologische Geschlecht bezieht.

Im ältesten Kommentar zum Vinaya-Piṭaka, dem Samantapāsādikā, wird der Wechsel des liṅga als plötzlich mitten in der Nacht auftretend beschrieben; man geht als Mann zu Bett und wacht als Frau auf. Das erscheint natürlich äußerst unwahrscheinlich, aber es könnte seine Wurzeln in der Vorstellung haben, dass der Schlaf ein unsicherer Zustand ist, in dem man die Kontrolle verliert, was dann zu beschämenden Situationen führen kann (Heirman, 2012). Der Kommentar schreibt einen solchen Wechsel auch gutem oder schlechtem Kamma zu.

Scherer (2006) et al. verstehen den Begriff liṅga als einen Verweis auf ‚sekundäre Geschlechtsorgane‘ oder Merkmale des Geschlechtsunterschieds, die auch Unterschiede im Verhalten mit einschließen, so dass der Begriff sowohl für das biologische Geschlecht als auch für die Geschlechtsidentität wie wir sie heute definieren verwendet werden kann. Sie gründen diese Schlussfolgerung auf die Arbeiten Buddhaghosas, eines späteren Kommentators. Allerdings unterscheidet sich die Idee des sozialen Geschlechts, wie wir sie heute haben, ganz sicher von den Vorstellungen zur Zeit des Buddha. Um ein klareres Bild zu bekommen, ist weitere Forschung auf diesem Gebiet und auch in den entsprechenden Parallelen anderer Schulen vonnöten.

In jedem Fall scheint es um die tatsächliche Bedeutung des Begriffs liṅga viel Unsicherheit zu geben. In der späteren Kommentarliteratur gibt es verschiedene Erklärungsversuche, aber diese weichen sehr stark voneinander ab. Das Problem hat Auswirkungen auf den Ablauf der Ordination, bei der man gefragt wird, ob man ein purisa (Mann) ist oder eine itthi (Frau). Aus der Passage in Pārājika 1 würde folgen, dass man, um ein Mann oder eine Frau im Sinne der Ordination zu sein, die liṅga eines Mannes oder einer Frau haben muss.

Mein Gefühl ist, dass man am sichersten fährt, wenn man sich wieder die Lehren anschaut und den Weg des größten Mitgefühls wählt. Die Stelle in Pārājika 1 gibt einen Hinweis darauf, was der Buddha tun würde: Die Person, deren Geschlecht sich umwandelt, sollte gemäß dem Vinaya praktizieren, der zu ihr am besten passt, um die bestmöglichen Bedingungen für das Ausrotten der Verunreinigungen und die Praxis der Lehre zu haben.

Ich denke daher, dass im Licht der Lehren die Ordination sich auf die Geschlechtsidentität und nicht auf das biologische Geschlecht stützen sollte. Der Vinaya des Buddha ist eine Richtschnur für unsere Praxis und ist dazu gedacht, uns bei der Überwindung der Verunreinigungen zu helfen. Eine Trans-Frau wird, wegen ihrer Geschlechtsidentität als Frau, mehr vom Training für Bhikkhunis profitieren und umgekehrt. Es liegt daher bei jedem Menschen selbst, herauszufinden, wo er das Training erhalten kann, das am besten zu ihm passt, in Absprache mit der Gemeinschaft des Klosters, wo er / sie üben möchte.

Wie Ajahn Brahm sagte:

Als Buddhisten, die das Ideal bedingungsloser Liebe und bedingungslosen Respekts pflegen, die Menschen nach ihrem Verhalten beurteilen und nicht nach ihrer Geburt, sollten wir gut aufgestellt sein, um eine Führungsposition einzunehmen, wenn es darum geht, die Gleichstellung der Geschlechter in der modernen Welt voranzubringen und damit das Leiden der Hälfte der Weltbevölkerung zu verringern. Darüber hinaus müssen wir diese Probleme direkt angehen, wenn der Buddhismus weiterhin relevant sein und wachsen soll. Aber wie sollen wir über Gleichstellung der Geschlechter reden, wenn einige unserer eigenen Organisationen im Theravada-Buddhismus in dieser Hinsicht voreingenommen sind?

In diesem Artikel erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versuche, einen Überblick über die Probleme zu schaffen und eine Grundlage für Diskussion und weitere Forschung auf diesem Gebiet zu legen. Mittlerweile liegen recht umfassende Forschungen zu Bhikkhunis und der Möglichkeit der Bhikkhuni-Ordnation vor, und es ist Zeit, dass wir anfangen, uns anderen Minderheiten zuzuwenden, die nicht immer im Sangha akzeptiert werden.

Literatur:

Anderson, C. (2016). Changing Sex in Pali Buddhist Monastic Literature. Researchgate.
https://www.researchgate.net/publication/313629904_Changing_Sex_in_Pali_Buddhist_Monastic_Literature

Anderson, C. (2016a). ‘Defining Women’s Bodies in Indian Buddhist Literature’ In: Barbara A. Holdrege and Karen Pechilis (eds) Re-figuring the Body: Embodiment in South Asian Religions. Albany, NY: State University of New York Press

Begley, S. (2009, 29. Juli). Don’t blame the caveman. Newsweek 52–62.

Buller, D. J. (2006). Adapting minds: Evolutionary psychology and the persistent quest for human nature. Cambridge, MA: MIT Press.

Heirman, Ann 2012. ‘Sleep Well! Sleeping Practices in Buddhist Disciplinary Rules’ Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 65(4), pp. 427–444.

Hurley, S. (2007). Sex and the social construction of gender: Can feminism and evolutionary psychology be reconciled? In J. Browne (Ed.), The future of gender (pp. 98–115). New York, NY: Cambridge University Press.

Lindsey, L. L. (2011). Gender roles: A sociological perspective (5th ed.). Upper Saddle River, NJ: Prentice Hall.

Mead, M. (1935). Sex and temperament in three primitive societies. New York, NY: William Morrow.

Morgan, S. (Ed.). (1989). Gender and anthropology: Critical reviews for research and teaching. Washington, DC: American Anthropological Association.

Murdock, G. (1937). Comparative data on the division of labor by sex. Social Forces, 15, 551–553.

Salt D, Brain Z (June 2007). “Intersex: Case studies”. Cosmos (15). Archived from the original on 2009-02-14.

Scherer, Burkhard (2006). ‘Gender Transformed and Meta-gendered Enlightenment: Reading Buddhist Narratives as Paradigms of Inclusiveness’ Revista de Estudos da Religião – REVER 6(3), pp. 65–76.

Sirimanne, Chand R. (2016). Buddhism and Women-The Dhamma Has No Gender. Journal of International Women’s Studies.
http://vc.bridgew.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1923&context=jiws

Sujato Bhikkhu, (2007). Bhikkhuni Vinaya Studies. Santipada.
http://santifm.org/santipada/wp-content/uploads/2012/08/Bhikkhuni_Vinaya_Studies_Bhikkhu_Sujato.pdf

Workman, L., & Reader, W. (2009). Evolutionary psychology (2nd ed.). New York, NY: Cambridge University Press.

3 Kommentare

  1. fiona

    Dear Ayya
    You say
    ‚the transitioned person should practice according to the VInaya that is most appropriate to them in order to get the best possible opportunities to eradicate defilements and practice the teachings.‘

    Can you clarify what you mean? Are you suggesting defilements are gender specific? If this is the case then this means you are pooling specific defilements in monasteries eg male and female monasteries. Would this lead to group think and prejudice? Most research supports heterogeneity in the workplace as it leads to better decision making. My experience is that monasteries are heirarchical and men use a multitude of tactics to maintain the power dynamic. They have historically co-opted women to various extents.

    1. Sabbamitta

      Dear Fiona, thank you for your comment.

      I leave it to Ayya Vimala to post their own reply as soon as they find the time.

      What I’d like to say is that maybe it’s not so much defilements that are gender specific, but the Vinayas are. There is a Vinaya for monks and a Vinaya for nuns – unless you want to try out a genderless Vinaya as suggested in this post https://discourse.suttacentral.net/t/thought-experiment-a-genderless-vinaya/6939 (but note in the discussion how the mere fact of starting a thought experiment to this respect provoked quite strong reactions! So this idea would probably need more time to develop and mature.)

  2. fiona

    Dear Anagarika Sabbamitta, Thanks for your response. A genderless Vinaya seems to be a good idea. I believe splitting men and women up is just another tool for patriarchy to keep going.

    In Saudi women can drive now and the Prince responsible has enjoyed some reflected glory. Various princesses are seen draped across their convertibles in Vogue. Women are enjoying their new found freedom. The women who worked so hard for this change are still locked up as far as I am aware. Not much has changed for them. This is how patriarchy works. It just relieves the pressure points but there is no fundamental shift in attitudes. I suspect much of the male desire for power is based on insecurity.

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