von Ayya Arannadevi
Die Geschichte von Kisagotami ist unter Buddhisten relativ bekannt.
Eine junge Frau sehnt sich nach einem Kind, und nach vielen Jahren bringt sie einen Sohn zur Welt. Könnt ihr euch ihre Freude über diesen Sohn vorstellen, nachdem sie so viele Jahre gewartet hat? Und könnt ihr euch ihre Erleichterung von all dem Druck vorstellen, dem Frauen in einer Ehe ausgesetzt sind, um ein Kind, und besonders einen Sohn, zu gebären? Aber ihr Kind starb noch als Baby, und der Kummer darüber war einfach zu viel für sie. Sie wollte ihr Kind nicht einäschern lassen, sondern trug es mit sich herum und sagte „nein, mein Kind schläft nur“.
Jemand schlug ihr vor, den Buddha zu besuchen, vielleicht könne er ihr helfen. Und sie legte ihren Sohn dem Buddha zu Füßen und bettelte, dass er etwas für ihr Kind tun solle. Er versteht, welche Unterweisung sie braucht. Er sagt, er werde ihr helfen, und bittet sie, ein Senfkorn zu besorgen. Das Senfkorn muss aus einem Haus kommen, in dem kein Todesfall vorgekommen ist.
So geht sie von Haus zu Haus und bittet um ein Senfkorn, um ihren Sohn zu retten. Nur zu gern würden die Menschen ihr helfen, bis sie fragt, „hat es in dieser Familie einen Todesfall gegeben?“. Natürlich kann sie keinen Platz finden, wo man nicht einen solchen Verlust erfahren hat. Auf diese Art lernt Kisagotami die universelle Natur des Leidens. Wir alle müssen den Verlust unserer Lieben erleben. So bringt sie ihren Sohn schließlich zum Leichenplatz.
Oft sprechen Menschen mit mir über ihr Leiden, und ich finde, dass es verschiedene Stadien gibt, wo sie unterschiedliche Haltungen haben. Viele werden verbittert über ihren Verlust, verschanzen sich hinter der Geschichte ihres Schmerzes und werden einsam. Sie sind überzeugt, dass niemand sie versteht, dass niemand Ähnliches erlebt hat. Manche glauben, dass sie irgendwie selbst Schuld an ihrem Leiden sind, weil mit ihnen etwas nicht stimmt, und ihr Leid wird ein Anlass zur Scham. Andere kommen zu dem Verständnis, dass ihr Leiden ein Teil des Lebens ist, und ihr Kummer führt sie in die Gemeinschaft mit anderen, zur Menschlichkeit.
Als Kisagotami mit ihrem Baby zum Buddha kommt, hält er ihr keinen Vortrag, und er verlangt nicht von ihr, zu beobachten oder loszulassen. Er leitet sie nicht zu einer Meditationstechnik an oder gibt ihr philosophische Erklärungen. Er zeigt ihr einen praktischen Weg, mit ihrem Schmerz umzugehen und die Wahrheit zu akzeptieren.
Als erstes muss sie sich körperlich der Suche nach einem Ort ohne Kummer hingeben—dieser Akt der Verkörperlichung ist wichtig, um einer Erleichterung das Gefühl von Wirklichkeit zu geben. Als nächstes muss sie in Beziehung treten, sie muss über ihr Leiden sprechen, ihren Verlust würdigen. Und dann muss sie zuhören, immer und immer wieder, dem Leiden anderer, bis sie mit einem Feld von Mitgefühl in Verbindung kommt, das in der Lage ist, uns alle zu halten. Dieses Muster von Verkörperlichung, in Beziehung treten und Zuhören ist ein Weg, über den wir lernen können, mit dem Leiden, unserem eigenen und dem anderer, einfach zu sein.
Wenn Kisagotami zum Buddha zurückkehrt, hat sie das Leiden direkt berührt und versucht nicht länger, es zu vermeiden. Während der Buddha zu ihr spricht, sieht sie den Dhamma—sie erlangt die erste Erleuchtungsstufe. Und sie bittet um Aufnahme in die Gemeinschaft der Nonnen.
Später kam Bhikkhuni Kisagotami zum vollen Erwachen, wurde Arahant. Es gibt einen Bericht über sie im Samyutta Nikaya, den gruppierten Reden über Bhikkhunis. Sie spricht dort mit spiritueller Autorität und zeigt, wie sie als Nonne und als ein erwachtes Wesen die traditionelle Frauenrolle transzendiert.
Bhikkhuni Kisagotami meditiert im Wald, als Mara sich ihr nähert, um ihr Furcht einzuflößen. Er sagt:
Warum, wo dein Sohn tot ist,
sitzt du alleine hier mit tränenvollem Gesicht?
Bist du alleine in den Wald gegangen,
um nach einem Mann Ausschau zu halten?
Kisagotami versteht, dass dies Mara ist, und antwortet (man beachte die Frechheit!)
Ich habe den Tod von Söhnen hinter mir gelassen;
damit hat auch die Suche nach Männern ein Ende.
Ich bin nicht bekümmert, ich weine nicht,
noch fürchte ich dich, Freund.
Vergnügen wurde gänzlich vernichtet,
die Wand der Dunkelheit wurde durchtrennt.
Die Armee des Todes habe ich geschlagen
und verweile ohne den Makel von Befleckungen. 1
Kisagotamis Geschichte lädt uns ein, hinter den äußeren Anschein zu schauen, über die gegenwärtigen Umstände hinaus, über das hinaus, was wir denken, wir könnten es ertragen, und zu entdecken, dass das Herz grenzenlos ist. Mitten in tiefster Unsicherheit können wir durch das bloße Wissen, dass unser Leiden nicht persönlich oder die Folge eines persönlichen Makels ist, Mut finden. Wenn wir unseren Verlust und Kummer integrieren und überwinden können, können wir auch eine Kraftquelle für andere werden. Die Lehre des Buddha begrenzte sich nicht auf abgeschiedene und stille Praxis; sie gründete sich ebenso in der Gemeinschaft und der Beziehung. Diese Weisheit brauchen wir, um ganz zu werden.
Dieser Link führt zu einer Computeranimation von Kisagotamis Geschichte.